Wie alle anderen Schülerinnen und Schüler in NRW, hatte auch der Deutsch-Grundkurs der Q2 von Frau Symanzik die Aufgabe, sich mit Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O...“ auseinanderzusetzen – für den einen eine Qual, für den anderen nach der Lektüre des „Fausts“ ein reines Vergnügen. Das erklärt die facettenreichen Rezensionen, die am Ende der Unterrichtseinheit entstanden sind. Hier zwei Beispiele:

Rezension: „Marquise von 0...“ (von N. Pauli)

Heinrich von Kleist wurde 1777 in Frankfurt geboren und ist ein deutscher Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Publizist. Seine bekanntesten Werke sind „Der zerbrochene Krug”, „Amphitrion”, „Michael Kohlhaas” und „Die Marquise von O...”, wobei letztere Novelle am bekanntesten scheint, da sie fester Bestandteil des gymnasialen Unterrichts ist.

Kleist ist in einer Gesellschaft voller Unruhe und Umbrüchen aufgewachsen, was sich auf sein im Jahre 1808 veröffentlichtes Werk „Die Marquise von O...” auswirkt: Die Novelle thematisiert die Schwangerschaft einer Dame mit vortrefflichem Ruf, welche aus ihrem Elternhaus verbannt wird. Wie es zu der Schwangerschaft gekommen ist, wird nicht verraten, da die Stelle durch einen Spiegelstrich ersetzt worden ist. Auch von wem die Marquise geschwängert worden ist, bleibt zunächst unklar. Das Geheimnis wird im Verlauf der Lektüre jedoch gelüftet, als die Marquise eine Annonce aufsetzt, in der sie den Vater ihres ungeborenen Kindes bittet, sich bei ihr zu melden.

Kleist verwendet in der Novelle viel Körpersprache, um Dinge zum Ausdruck zu bringen, was durch sein zum Teil verwirrendes Spiel mit Interpunktionen unterstützt wird. Auch eine gewisse Ironie und verschlüsselte Symbolik machen das Werk sehr interessant und regen zum Nachdenken an.

Das Werk stellt sich für den Leser als wahre Gefühlsachterbahn heraus, denn hat man einen Schreck überwunden, so kommt auch schon die nächste Überraschung. Ein Spiel zwischen Versöhnung und Verachtung, zwischen Liebe und Hass eröffnet sich; „Er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht wie ein Engel vorgekommen wäre“ lautet ein zentraler Satz der Novelle. So ist es nicht überraschend, dass dieses Werk, das sich stark gegen die zu dieser Zeit herrschenden gesellschaftlichen Normen zur Wehr setzt, berechtigterweise noch heutzutage heiß im Unterricht diskutiert wird.

 

Ein weiterer Fall für Aktenzeichen XY ungelöst? (von Y. Juli)

Der „berühmteste Gedankenstrich der deutschen Literaturgeschichte“ – ein „Merkmal“ einer Novelle, die so viel Interpretationsfreiheit lässt, dass sie nach 211 Jahren immer noch diskutiert wird; mittlerweile auch in der Schule, wo sich Schüler an der Kleist’schen Sprache die Zähne ausbeißen.

Die einfach gestrickte Geschichte einer verwitweten Marquise, die aus mysteriösen Gründen schwanger wird und versucht, diese Schwangerschaft aufzuklären, wird durch unglaublich lange Sätze, bestehend aus Aneinanderreihungen und Einschüben, so in die Länge gezogen, dass man sich vor dem Meer an Unbestimmtheit und Unklarheit nicht mehr retten kann.

Wenn Ihnen dieser Satz schon zu lang war, dann sollten Sie unter keinen Umständen zu der „Marquise von O...“ greifen, es sei denn, Sie wollen mit Hippopotomonstrosesquippedaliophobie(Angst vor langen Wörtern und Sätzen) in die nächste Anstalt eingeliefert werden.

Die hitzige Debatte über den Inhalt der Novelle wird inzwischen schon von angehenden Abiturienten/-innen im Deutschunterricht der Sekundarstufe II in einer Art und Weise ausgetragen, die sich mit der bekannten Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ vergleichen lässt: Beauftragt vom Schulministerium (ZDF) klärt die Lehrkraft (Moderator) die Schüler/-innen (Zuschauer der Sendung) über die Umstände der Schwangerschaft (Kriminalfall) auf und bittet sie, Tipps oder Hinweise zu geben, die zur Aufklärung des Falls beitragen.

Schon oft konnten mit Hilfe der Sendung viele Kriminalfälle aufgeklärt werden, jedoch ist es fraglich, ob dies auch mit der „Marquise von O...“ im Schulunterricht gelingt. Anstatt sich also mit fast un(er)klärbaren Texten zu beschäftigen, sollten vom Bildungsministerium Lektüren vorgeschlagen werden, bei denen Schüler neben der Sprache auch den Inhalt verstehen können.